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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung.

Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen

Der Werkstattbericht enthält Debattenbeiträge, die am Gutes Leben für alle Kongress gemacht wurden, aber auch einige neue Artikel. Er skizziert, welche Fragen auf dem Weg zu einem Guten Leben für alle zu stellen und zu beantworten sind. Die vielfältigen Blickwinkel und Fragestellungen machen auch sichtbar, wo Widersprüche vorhanden sind, die es konstruktiv zu diskutieren gilt.

Der Werkstattbericht ist auf der Website des Gutes Leben für alle Kongresses – www.guteslebenfueralle.org – herunterladbar.

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Nehmen uns die Ausländer die Arbeitsplätze weg?
 

Johannes Schweighofer, 9. Jänner 2017

Ein klassischer Fall einer falsch gestellten Frage! Denn im Kern geht es bei den Themen Migration und Asyl um eine Klassen-, nicht um eine Nationalitäten­frage! Angesichts einer völlig verfehlten Wirtschafts­politik gibt es natürlich auch bei der Zuwanderung, ähnlich wie bei der Globalisierung, GewinnerInnen und VerliererInnen.

 

Wer profitiert von der globalen und nationalen Ungleichheit? Wem nützen die EU-Handels­­politik und grund­sätzlicher die gesamte Ausrichtung der EU-Wirtschaftspolitik? Wer zieht die Vorteile aus dem globalen Steuerwettbewerb? Wer profitiert vom weltweiten Waffen­handel? Wen stellt der Anstieg der Arbeits­losigkeit und der prekären Beschäftigungsverhältnisse in den Verhandlungen der Sozialpartner besser? Wem nützt es, wenn die Sozial­tranfers nach unten gefahren werden? Es sind immer die Unter­nehmen, die davon profitieren!

Das heißt aber auch, dass – gegeben der gegenwärtigen „Verfasstheit der Wirtschaft“ – Zuwanderung nicht nur positive Wirkungen entfaltet: In guten Konjunkturzeiten sind mit der Immigration überwiegend positive Effekte auf Wachstum und Beschäftigung verbunden, in schlechten Zeiten treten vermehrt Verdrängungseffekte bei Personengruppen auf, die unmittelbar mit den MigrantInnen in Konkurrenz stehen. Da Immigration also unter dem gegenwärtigen Regime zu erheblichen Verteilungseffekten führt, sollten die von Verdrängung betroffenen Gruppen von den GewinnerInnen der Migration – dies sind vor allem die Unternehmen – in der einen oder anderen Form entschädigt werden. Das wäre die zweitbeste Lösung – die erstbeste würde befriedigende Antworten auf die oben gestellten Fragen geben …

Einige Vorbemerkungen

Bevor auf die ökonomischen Vor- und Nachteile von Migration eingegangen wird, noch einige grundsätzliche Bemerkung zur Zuwanderung:

Migration kann verschiedene Ursachen haben: humanitäre Gründe wie im Falle von Flucht vor Krieg und Verfolgung, wirtschaftliche Gründe, Familiennachzug, Studium, Flucht vor den Folgen des Klimawandels etc. Flüchtlingen gebührt natürlich unsere uneingeschränkte Unterstützung, aber auch alle anderen MigrantInnen haben ein Anrecht auf die Solidarität von Menschen, die in einem der reichsten Länder der Welt leben. Zentral dabei ist allerdings die Frage nach der Verteilung der Kosten: Wer bezahlt diese Solidarität? Wer verdient an der Zuwanderung?

Die so genannte „Ausländerdebatte“ ist im Kern eine Spaltungsdebatte: WIR und DIE! Rechte Parteien nutzen diesen systematischen Verweis auf „die Anderen“, um über die Konstruktion einer Identität („wir Österreicher“) ein Entlastungsangebot, etwa in Bezug auf die negativen Seiten der Globalisierung, machen zu können. Hinzu kommt, dass die Kategorie „Ausländer“ extrem heterogen ist: Da finden sich deutsche StudentInnen, kanadische WissenschafterInnen, Flüchtlinge aus Syrien, PendlerInnen und GrenzgängerInnen aus Ungarn, Ärztinnen und Ärzte aus Rumänien, seit den 1970er-Jahren in Österreich lebende und arbeitende Menschen aus Bosnien, Kroatien und der Türkei usw.

Unter dem gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Regime (Stichworte dazu sind: Steuerflucht, Ungleichverteilung, Austerität, Prekarisierung, Arbeitszeitverlängerung, EU-Handels- und – Landwirtschaftspolitik etc.) ist die Zuwanderung natürlich auch mit negativen Effekten vor allem auf jene Gruppen auf dem  österreichischen Arbeitsmarkt verbunden, die von Verdrängungseffekten betroffen sind; das müsste allerdings nicht der Fall sein!

Österreich, ein Einwanderungsland

Österreich ist ein Einwanderungsland, zumindest seit dem Fall des Eisernen Vorhangs: Im Zeitraum von 1989 bis 2015 stieg die Bevölkerung um mehr als eine Million Personen auf 8,7 Millionen. Diese Zunahme ist beinahe ausschließlich auf Zuwanderung zurückzuführen. In diesem Zeitraum lagen – auch im internationalen Vergleich – die Nettomigrationsquoten, also die Zuwanderung minus der Abwanderung im Verhältnis zur Bevölkerung, auf einem sehr hohen Niveau, sie wurden nur von Luxemburg und Zypern übertroffen. Die Beschäftigung von Personen mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft hat sich in diesen 26 Jahren um 268 % auf ca. 616.000 erhöht, jene der InländerInnen stieg um 8,3 % auf ca. 2,9 Millionen an. Im selben Zeitraum erhöhte sich die Arbeitslosigkeit von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss von 9,2 % auf 26,6 %, ein Umstand, der mit der Globalisierung, mit dem technologischen Fortschritt („skill biased technological change“), einer verfehlten Wirtschaftspolitik (und Bildungspolitik), aber auch mit Verdrängungseffekten als Folge von Immigration in Zusammenhang gebracht werden kann.

Abbildung: Entwicklung von Nettozuwanderung, unselbstständiger Beschäftigung und BIP

http://blog.arbeit-wirtschaft.at/wp-content/uploads/2016/12/abbildung_2-1024x713.jpgQuelle: Statistik Austria, AMS.

Wie die Abbildung oben zeigt, stieg in den letzten Jahren, ähnlich wie zu Beginn der 2000er-Jahre, die Nettomigration deutlich an; 2015, im Jahr der Flüchtlingskrise, wanderten um ca. 123.000 Personen mehr zu als abwanderten. Dieser Zuwachs entspricht einem historisch hohen Wert von 1,42 % der Bevölkerung. Seit der Finanzkrise 2009 nahm die Inländerbeschäftigung nur noch marginal zu, die Beschäftigung von AusländerInnen hingegen deutlich. Angesichts der niedrigen BIP-Wachstumsraten in diesem Zeitraum muss davon ausgegangen werden, dass Immigration im Vergleich zu guten Konjunkturjahren  vermehrt mit Substitutionseffekten (d. h. Verdrängung) verbunden war, Komplementäreffekte (d.h. dass das Entstehen eines Arbeitsplatzes dazu führt, dass weitere Jobs entstehen, weil die Herstellung eines Produktes als Ergebnis unterschiedlicher Tätigkeiten gesehen wird) scheinen eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Jahre 2006 und 2007: Bei guter Konjunkturlage führt die Zuwanderung offensichtlich dazu, dass alle Beschäftigungsaggregate stark ansteigen.

Die ökonomischen Vorteile der Zuwanderung

Migration trägt in der Regel zu einer Abmilderung der negativen Folgen sowohl des demografischen Wandels als auch eines eventuell vorhanden Fachkräftemangels bei, zudem steigert sie in den meisten Fällen das Wachstum, und unter bestimmten Bedingungen (v.a. Hochqualifizierte immigrieren) hilft Zuwanderung auch, die öffentlichen Haushalte zu entlasten und die Innovationskraft einer Ökonomie zu verbessern (OECD 2014). Die Erfahrungen mit Zuwanderung in Österreich in den 1990er und 2000er Jahren führten beispielsweise zu folgenden Ergebnissen: Ein Anstieg der ausländischen Beschäftigten um 1% der Gesamtbeschäftigung (etwa 30.000 Personen) erhöhte mittelfristig das BIP um 3,5% und die Beschäftigung stieg um 4,5% (Bock-Schappelwein 2008).

Die wirtschaftlichen Nachteile der Zuwanderung

Nachfolgend werden die ökonomischen Schattenseiten der Immigration beleuchtet. Dabei soll allerdings der Hinweis nicht fehlen, dass diese negativen Effekte im engen Zusammenhang mit der verfehlten Wirtschaftspolitik, die v. a. auf europäischer Ebene betrieben wird, im Zusammenhang stehen. Gäbe es mehr Jobs, so würde sich die Sachlage deutlich anders darstellen!

Verdrängungseffekte

„´Vor allem Tschechinnen und Slowakinnen´, so Frau Ülbrecht, ´sind im Service, aber auch in der Küche, sehr nachgefragt, da sie zu niedrigeren Löhnen als inländische Kräfte oder oft auch nicht angemeldet arbeiten´ … Zudem betrachtet Frau Eibner Migrant/inn/en insgesamt als Lohndrücker auf dem Arbeitsmarkt“ (Flecker/Kirschenhofer 2007). Die so genannten „einfachen ArbeiterInnen“ machen sich über eine ökonomische Binsenweisheit keine Illusionen: Ein zusätzliches Arbeitskräfteangebot – unabhängig davon, woher es stammt – dämpft in der Tendenz das Lohnwachstum bzw. verschlechtert es die Arbeitsmarktchancen von Personen, die mit diesem Angebot in Konkurrenz treten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Reservationslohn der ImmigrantInnen (also jener Lohn, für den eine Person gerade noch ihre Arbeit anbietet) deutlich niedriger ist als jener der ansässigen Bevölkerung; dies trifft etwa auf Menschen aus Rumänien oder der Ostslowakei häufig zu. Internationale Studien zeigen, dass eine Erhöhung des Ausländeranteils an den Beschäftigten um einen Prozentpunkt in einem Sektor die Löhne der InländerInnen um 0,1 Prozentpunkte senkt (Kerr/Kerr 2011). Dabei handelt es sich allerdings oft um durchschnittliche Effekte über einen bestimmten Zeitraum, über eine gesamte Volkswirt­schaft, über verschiedene Sektoren und Qualifikationsstufen hinweg. Allgemein gilt: Die negativen Effekte von Zuwanderung sind umso größer, je mehr Menschen in einem kurzen Zeitraum zuwandern und je schlechter das Ausbildungsniveau der MigrantInnen ist, weil unqualifizierte ImmigrantInnen Personengruppen unter Druck setzen, die ohnehin mit Problemen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen haben. Die Erfahrungen mit Zuwanderung in Österreich in den 1990er und 2000er Jahren führten u. a. zu den folgenden Erkenntnissen: Ein Anstieg der ausländischen Beschäftigten um 1 % der Gesamtbeschäftigung (etwa 30.000 Personen) senkt das BIP pro Kopf leicht um 0,05 % und die Arbeitslosenquote steigt, vor allem bei den Niedrigqualifizierten, um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte an (Bock-Schappelwein 2008).

Diese vergleichsweise geringen negativen Arbeitsmarktauswirkungen von Zuwanderung erscheinen jedoch in einem anderen Licht, wenn die Effekte spezifischer betrachtet werden, etwa im Hinblick auf bestimmte Qualifikationsgruppen oder bestimmte Zeitabschnitte:

Um mit einem in der Migrationsliteratur viel beachteten Ereignis zu beginnen: Im Jahr 1980 flüchteten im Gefolge der „Mariel-Bootskrise“ innerhalb weniger Monate ca. 125.000 KubanerInnen in den Süden von Florida, wodurch sich das regionale Arbeitskräfteangebot innerhalb einiger Monate um ca. 8,4 % erhöhte. Der Großteil der MigrantInnen (ca. 60 %) bestand aus „high school dropouts“, deren Anzahl damit in Miami und Umgebung um 20 % anstieg. Während dieses „natürliche Migrationsexperiment“ in der frühen wissenschaftlichen Literatur noch dahingehend bewertet wurde, dass dieser „Zuwanderungsschock“ „…have had virtually no effect on the wages or unemployment rates of less-skilled workers …“ (Card 1989), kommen neuere Untersuchungen zu einem anderen Ergebnis: Die Löhne jener Gruppe, die am stärksten von der Konkurrenz durch Zuwanderung betroffen war, nämlich SchulabbrecherInnen in der Oberstufe, fielen um 10 – 30 %  – ein tatsächlich außergewöhnlich hoher negativer Wert! Auf der anderen Seite profitierten höher qualifizierte Personen von der Zuwanderung, sowohl in Bezug auf Löhne als auch hinsichtlich der Beschäftigung. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Zuwanderung mit erheblichen Verteilungseffekten verbunden ist. Abgesehen von genaueren Daten und einer verbesserten Auswahl von Vergleichsstädten in den USA zeichnet für diese weit höheren negativen Effekte der Immigration vor allem ein Umstand verantwortlich, nämlich die genauere Eingrenzung der von Zuwanderung betroffenen Gruppen: „A crucial lesson […] is that any credible attempt to measure the wage impact must carefully match the skills of the immigrants with those of the pre-existing workers“ (Borjas 2016 und Borjas/Monras 2016).
Für Österreich liegt eine Untersuchung vor, die der Frage nachgeht: „Gab es auf regional-sektoraler Ebene Verdrängungseffekte im Gefolge der Arbeitsmarktöffnung vom Mai 2011?“ (Schweighofer 2012). Im ersten Jahr nach der völligen Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes für Personen aus Ländern, die 2004 der EU beigetreten sind, erhöhte sich das Arbeitskräfteangebot  ausländischer StaatsbürgerInnen insgesamt um etwa 1 %, die Beschäftigung von Personen aus den neuen Mitgliedsländern stieg jedoch in einzelnen Sektoren einzelner Regionen – etwa am Bau, im Bereich Beherbergung und Gaststättenwesen und bei der Erbringung  sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen in Wien, Niederösterreich und Burgenland – um 3-12% an. Dieser starke Anstieg in kurzer Zeit führte zu statistisch signifikanten Verdrängungseffekten bei inländischen Beschäftigten in den oben genannten Sektoren/Regionen und zu einem ebenfalls statistisch signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit bei den unqualifizierten Personen. In anderen Sektoren/Regionen scheinen Komplementäreffekte überwogen zu haben, d. h. alle Beschäftigtengruppen verzeichneten Zuwächse.

Versuch eines Refraimings: eine Klassen-, keine Nationalitätenfrage!

Angesichts der gegenwärtigen Verfasstheit der Wirtschaft stellt sich, wie bereits erwähnt, die so genannte „Ausländerfrage“ als  falsche Frage mit den falschen Alternativen dar: DIE oder WIR? Daher muss diese Debatte in einen anderen, angemesseneren Rahmen gesetzt werden. Wir müssen endlich von der „marktkonformen Demokratie“ zum „demokratiekonformen Kapitalismus“ kommen. Was aber muss getan werden, damit der Satz „Die Auswirkungen der Migration sind eher eine Klassen- als eine Nationalitätenfrage“ nicht leer und zynisch erscheint? An dieser Stelle ist nicht genügend Platz, um dies im Detail auszuführen, daher im Folgenden nur einige Stichworte dazu:

  • Auf globaler Ebene ist klar, dass genug Reichtum für alle da wäre. Kriege und Armut als die wichtigsten Ursachen für Migrationsströme könnten vergleichsweise einfach bekämpft werden, wenn der politische Wille entsprechend vorhanden wäre. Dies gilt auch für die Folgen des globalen Klimawandels, der immer mehr Migrationsströme verursacht.
  • Fairer Handel auf globaler Ebene, Reduktion der Subventionen für die europäische Landwirtschaft, wirksame Entwicklungszusammenarbeit und Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft wären weitere Elemente für notwendige Änderungen auf globaler Ebene. Dies würde dazu führen, dass auch wirtschaftlich weniger entwickelte Länder aufholen könnten, nicht zuletzt durch den Umstand, dass qualifizierte Arbeitskräfte in den Heimatländern gute Jobs finden und damit die negativen Folgen des Brain drains verringern würden.
  • Darüber hinaus müsste der globale Waffenhandel als Treiber vieler Konflikte auf diesem Globus stark eingeschränkt werden – dann könnten viele Auseinandersetzungen in zahlreichen Ländern sprichwörtlich nicht „weiter befeuert“ werden.
  • Ganz zentral wären globale Maßnahmen gegen den internationalen Steuerwettbewerb. Unternehmen müssten dort besteuert werden, wo die Gewinne anfallen – und wenn das nicht möglich ist, dann dort, wo diese Firmen ihren Sitz haben.
  • Auf Ebene der EU wäre es wichtig, dass ein radikaler wirtschaftspolitischer Regimewechsel stattfindet: weg von den Strukturreformen, weg vom Mantra der Wettbewerbsfähigkeit, weg von der nicht enden wollenden Austeritätspolitik und hin zu einer tatsächlich beschäftigungsfreundlichen Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik.
  • In diesem Zusammenhang ist die zum Stillstand gekommene Konvergenz zwischen den neuen Mittgliedstaaten, die 2004/2007/2013 beigetreten sind, und den EU15 zu nennen: Es sind also nicht „die Ausländer aus Osteuropa“ das Problem, sondern eine EU-Wirtschafts­politik, die wenig dazu beigetragen hat, den Aufholprozess der osteuropäischen Länder nachhaltig zu unterstützen (anlässlich der Beitritte von 2004 war noch von einem Marshallplan die Rede, der die Binnennachfrage und den Wohlstand in den neu hinzugekommenen Ländern fördern sollte).
  • Auch wäre eine Rückkehr zur produktivitätsorientierten Lohnpolitik dringend geboten, damit die Nominallöhne im Ausmaß der Produktivität und der Inflation steigen können und genügend Spielräume für die dringend notwendige Arbeitszeitverkürzung entstehen!
  • In Österreich müssten die Reichen mehr zum Steueraufkommen beitragen: Höhere Grenzsteuersätze ab Einkommenshöhen, die auch den oberen Mittelstand treffen. Höhere Vermögenssteuern (bei Erbschaften, auf Grund/Boden und Wohnungseigentum etwa) sind ein weiteres Gebot der Stunde.
  • Schließlich müssten die Mindestlöhne ebenso deutlich angehoben werden wie Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sowie die Bedarfsorientierte Mindestsicherung – eine Maßnahme, mit der die VerliererInnen der Globalisierung endlich von den GewinnerInnen entschädigt werden können.
  • Wird darüber hinaus der Blickwinkel enger gefasst, so müsste dafür gesorgt werden, dass die ökomischen GewinnerInnen von Zuwanderung die VerliererInnen entschädigen: Aus der Perspektive des Empfängerlandes betrachtet sind die größten GewinnerInnen von Zuwanderung die ArbeitgeberInnen und zwar über ein erhöhtes Arbeitskräfteangebot. Daher sollten Unternehmen abhängig vom Ausmaß der ökonomisch motivierten Zuwanderung ganz generell in einen Topf einzahlen, aus dem dann etwa Umschulungen und Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose bezahlt werden sollten.
    Würden all diese Maßnahmen umgesetzt, dann würden sich die „Push-Faktoren“ für Migration und Flucht deutlich reduzieren, und auf den Arbeitsmärkten der Empfängerländer  würden sich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für alle bieten und – dann wären für ein reiches Land wie Österreich Nettomigrationsquoten von 1-2% pro Jahr über einen längeren Zeitraum durchaus verkraftbar.

 

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Sozialökologische Infrastruktur statt Grundeinkommen 


Sozialökologische Infrastruktur statt Grundeinkommen
 

Andreas Novy, 18. Oktober 2016

Grundeinkommen, sozial-ökologische TransformationDie neoliberale Globalisierung radikalisiert die Illusion, menschliche Bedürfnisse seien vorrangig mit Geld zu befriedigen. Das kommt etwa in der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen zum Ausdruck, das auch von progressiver Seite in die Debatte um eine sozialere Politik eingebracht wird. Statt eines garantierten Grundeinkommens braucht es aber vor allem eine leistbare, soziale und ökologische Infrastruktur für alle, die es ermöglicht, ein gelungenes Leben zu führen.

In der aktuellen Krise des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems wird immer wieder ein bedingungsloses Grundeinkommen als Lösung sozialer Probleme vorgeschlagen. Ich meine, dass das Grundeinkommen als eine Form von Geldleistung der falsche Weg ist, die großen Herausforderungen von Klimawandel, zunehmend unkontrollierter Konzernmacht und neuer Armut zu meistern.

Sozialökologische Alternativen gesucht

Es wird mittlerweile kaum bestritten, dass wir uns in einer Übergangszeit befinden, in der unsere konsumfixierte Lebensweise nicht aufrechtzuerhalten ist. Menschen in reichen Regionen der Welt müssen ihren ökologischen Fußabdruck drastisch reduzieren, was nur möglich wird, wenn wir uns von zwei grundlegenden Illusionen des westlichen Lebensstils trennen: dem Wachstumszwang und dem Konsumismus. Der Wachstumszwang erlaubt keinen Stillstand, weil man sonst im Wettbewerb untergeht. So dreht sich das Hamsterrad des Mehr und Schneller mit den zunehmend bekannten, bedrohlichen Konsequenzen für unseren Planeten. Eine eigene Bewegung – die Degrowth-Bewegung – thematisiert diese Problematik.

Weniger intensiv ist die Beschäftigung mit der zweiten Illusion, die eine ebenso bedeutsame Säule kapitalistischer Marktgesellschaften ist: die Illusion, menschliche Bedürfnisse seien vorrangig mit Geld zu befriedigen. Marx beschreibt kapitalistische Gesellschaften – nicht ohne eine gewisse Bewunderung für den damit verbundenen sozialen Fortschritt – als „ungeheure Warensammlung“. Heute sprechen wir von Konsumgütern, weniger respektvoll von „Klumpert“. Bis heute misst sich Reichtum und Wohlstand zu einem guten Teil an dieser Warensammlung, gut dokumentiert als wesentlicher Teil des BIP, dem Bruttoinlandsprodukt.

Nun wissen wir, dass die Ausweitung dieses privilegierten westlichen Konsumstils auf die gesamte Weltbevölkerung nicht möglich ist. Gefragt ist eine nachhaltige und solidarische Lebensweise jenseits des Konsumismus. Wohlstand wäre zu messen an Zeitwohlstand und gesicherter Daseinsvorsorge. Mein Wohlbefinden wäre nicht erkauft durch Leid und Umweltverschmutzung in anderen Teilen der Welt. Ändern wir jedoch am gegenwärtigen, zunehmend neoliberalen Wirtschafts- und Sozialsystem nichts, dann wird ein weniger an Einkäufen nur zu Einschränkungen und Wohlstandsverlusten führen. Dazu reicht ein Blick nach Griechenland. Ein Abschied von der Geldfixierung der Bedürfnisbefriedigung ohne soziale Katastrophen ist nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen erlauben, anders zu arbeiten und zu leben.

Sachleistungen besser als Geldleistungen

Alle Erfahrungen zeigen, dass staatliche Geldleistungen eine umverteilende Wirkung haben können. Sie sind daher oftmals besser als gar keine Maßnahmen. Gleichzeitig tendieren Geldleistungen dazu, bestehende, oftmals problematische Strukturen zu verstärken. Sowohl das Pflegegeld als auch das Kindergeld haben in Österreich die traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung eher verstärkt als aufgeweicht. Mutter werden ist durch das Kindergeld für Frauen besonders karrierehemmend. 2013 waren weniger Frauen in Österreich ganztags beschäftigt als 1993. Das Pflegegeld wiederum hat legale und halb-legale Märkte für Betreuungsarbeiten gefördert und zur verstärkten transnationalen Migration von Frauen geführt.

Die so dringend notwendige Neudefinition von Arbeit und eine gerechtere Verteilung der verschiedenen Arbeitsformen auf die Geschlechter werden durch diese Geldtransfers also eher behindert, Strukturen werden verfestigt. So ist zu befürchten, dass auch ein bedingungsloses Grundeinkommen die Struktur des Konsumismus befördert und kaum zur notwendigen Transformation beiträgt. Und es verwundert auch nicht, dass immer mehr neoliberale Konzepte von Grundeinkommen Anwendung finden, in denen ein „Grundeinkommen“ Sozialleistungen ersetzt.

Ein konsumfixierter Lebensstil ist keine individuelle Entscheidung, es ist eine strukturell bestimmte Lebensweise. Diese wird nicht verändert, wenn Menschen mit oder ohne Bedingungen Geld bekommen. Ein bedingungsloses Grundeinkommens ermöglicht Armutsgefährdeten, sich weiterhin beim Diskonter das leisten zu können, was sie fürs Leben brauchen. Daran ist grundsätzlich und als Notlösung nichts Verwerfliches. Es ist aber eine naive Hoffnung, an eine „unsichtbare Hand“ zu glauben, die mit derartigen Geldtransfers zu Strukturänderungen weg vom neoliberalen Konsumismus führt. Vielmehr bieten sie jedem und jeder, was Margret Thatcher den Fleißigen versprochen hatte: „Mehr Geld im Börsel“.

Gut Leben mit Zeitwohlstand und öffentlicher Daseinsvorsorge

Eine sozialökologische Transformation braucht eine andere Form der sozialen Absicherung. Gutes Leben für alle erfordert ein Wohlstandskonzept, das die Bedeutung von Geld und Konsum für das gute Leben einschränkt. Dieses gibt es mit den Konzepten von Zeitwohlstand und Daseinsvorsorge auch. Ein derartig qualitativ definierter Begriff von Wohlfahrt weist darauf hin, dass es für ein gutes Leben Einrichtungen und Infrastrukturen braucht, die leistbar sind und ökologisch nachhaltig Bedürfnisse befriedigen.

Lebensweisen werden immer gesellschaftlich ermöglicht oder behindert. Dazu zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: In den 1970er Jahren errichtete die Stadt Wien die Donauinsel – glücklicherweise zu einer Zeit, als Immobilienkonzerne noch nicht weltweit die Stadtentwicklung prägten. Statt abgezäunter Luxuswohnungen für BestverdienerInnen entstand in bester Lage ein riesiger öffentlicher Naherholungsraum, der Lebensqualität schafft. Ähnliche öffentliche Räume bräuchte es dezentral an vielen Orten jeder Stadt. So könnten dezentrale Zentren einer Stadt der kurzen Wege entstehen. Es gäbe genug Raum für Muse, Freundschaften pflegen, Erholung und Spaß. Dies wäre eine sozialökologische Infrastruktur für alle als Grundlage einer nachhaltigen und solidarischen Lebensweise. Als zweites Beispiel sei das 365-Euro-Ticket genannt, das seit fünf Jahren Wien zu einer Stadt macht, die nicht nur ein großartiges öffentliches Verkehrsnetz hat, sondern auch eines der billigsten. Die so gesenkten Lebenshaltungskosten sind ein (kleiner) Beitrag, den Abstieg in die Armut zu verhindern. Erschwingliche und gute öffentliche Verkehrsmittel ermöglichen in Wien ein Leben ohne Auto. In Güssing hingegen ist ein Leben ohne Auto nur um den Preis des Ausschlusses vom sozialen Leben möglich.

Die Strategie, klimaschädliche Infrastrukturen zurückzubauen – allen voran bestimmte Verkehrsinfrastrukturen und fossile Energiesysteme – und stattdessen eine sozialökologische Infrastruktur für alle auszubauen, ist daher sicherlich der beste Weg, um strukturelle Veränderungen weg von Konsumismus und Wachstumszwang einzuleiten. Während Geldleistungen wie ein Grundeinkommen die Funktion haben, Not zu lindern, sind öffentliche Räume, öffentliche Verkehrsmittel, erschwinglicher Zugang zu Energie, Wasser, Wohnen, Gesundheit und Bildung die notwendigen Voraussetzungen für eine neue, solidarische Lebensweise mit reduziertem ökologischen Fußabdruck – aber besserer Lebensqualität für alle.

Tuesday, October 18, 2016 1:17:00 PM
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