CETA - Öffentliche Dienstleistungen unter Druck


CETA - ÖFFENTLICHE DIENSTLEISTUNGEN UNTER DRUCK
 

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Von der Altenpflege über das Gesundheitswesen bis hin zum öffentlichen Verkehr: Leistungen der Daseinsvorsorge dienen dem Gemeinwohl und müssen jedem zugänglich sein. Doch immer stärker sollen sich öffentliche Dienstleistungen dem Profitstreben unterwerfen und sich für private InvestorInnen öffnen. Damit stehen Versorgungssicherheit, Arbeitsplätze und gute Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge auf dem Spiel.

Nach dem Motto „Privat vor Staat“ wurden Liberalisierungen und Privatisierungen im Dienstleistungssektor in den letzten Jahrzehnten weltweit vorangetrieben. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) stellt einen weiteren Schritt in dieser Entwicklung dar.

 

AUS FEHLERN LERNEN – FEHLANZEIGE

Die Erfahrungen mit bisherigen Liberalisierungen und Privatisierungen von Dienstleistungen (z. B. bei Wasser- oder Stromversorgung) zeigen: Wenn bei der Erbringung von Dienstleistungen Gewinne im Vordergrund stehen und nicht das Gemeinwohl, dann werden die Leistungen mitunter unerschwinglich, eine flächendeckende Versorgung wird nicht mehr gewährleistet und die Qualität leidet. VerliererInnen sind die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten und die Arbeitnehmerschaft, denn oft geht gleichzeitig gut bezahlte Arbeit verloren. ArbeitnehmerInnen werden in prekäre oder schlecht entlohnte Jobs gedrängt.

Solche negativen Erfahrungen mit privatisierten Dienstleistungen der Daseinsvorsorge haben viele Städte und Gemeinden dazu gebracht, Bereiche wie z. B. Energie- und Wasserversorgung, Abfallentsorgung oder öffentlichen Nahverkehr zurück in die öffentliche Hand zu überführen. Sollte CETA ratifiziert werden, wird die Option solch einer Rückführung von privatisierten Dienstleistungen jedoch erheblich erschwert (siehe Kasten auf Seite 4 zu Stillstands- und Sperrklinkenklausel).

Für Konzern-Lobbys sind Abkommen wie CETA durchaus ein willkommener Anlass, noch mehr Druck auf nationale Regierungen und Kommunen auszuüben. Ihr Ziel: nicht nur Rekommunalisierungen zu verhindern, sondern das „Geschäftsfeld“ der Daseinsvorsorge Schritt für Schritt auszuweiten. Liberalisierungstechniken wie der sog. „Negativlistenansatz“ samt „Stillstands-“ und „Sperrklinkenklauseln“, die in CETA teils zum ersten Mal in einem EU-Freihandelsabkommen zum Einsatz kommen, zielen darauf ab, potenzielle Geschäftsfelder rascher und dauerhaft für den Wettbewerb zu öffnen. Damit ist die Europäische Kommission einer jahrelangen Forderung der Business-Lobbys nachgekommen.

Einer flächendeckenden Liberalisierung der Daseinsvorsorge stehen aus Unternehmenssicht jedoch unnötige Belastungen in Form von Gesetzen und Regulierungen im Weg. Diese setzen aber den Rahmen für wichtige sozial- und umweltpolitische Anforderungen wie zum Beispiel Genehmigungs- und Qualitätsauflagen (z. B. in der Entsorgung) oder Bedarfsprüfungen (um möglichen ruinösen Unterbietungswettbewerb einschränken zu können). Durch CETA geraten diese Regelungen weiter unter Druck.

 

DIE NEUEN LIBERALISIERUNGSTECHNIKEN

NEGATIVLISTEN

Nach dem Negativlistenprinzip müssen die Vertragsparteien explizit definieren, welche Dienstleistungssektoren von Liberalisierung verschont bleiben dürfen. Anders als bei einer Positivliste, bei der festgelegt wird, in welchen Sektoren eine Öffnung der Märkte stattfinden kann, hat die Negativliste zur Folge, dass eine flächendeckende Liberalisierung und Öffnung der Märkte zum Standard wird und Ausnahmen gerechtfertigt werden müssen. Eine umfassende und explizite Ausnahme für die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wäre vor diesem Hintergrund besonders wichtig, ist aber in CETA nicht gegeben.

STILLSTANDSKLAUSEL

Die Stillstandsklausel beinhaltet, dass kein Staat hinter das bereits erzielte Niveau der Marktöffnung und Deregulierung zurückgehen darf. Das aktuelle Liberalisierungsniveau wird also einzementiert. Dies kommt einer Einschränkung politischer Handlungsspielräume von derzeitigen und zukünftigen Regierungen gleich, die nicht zu rechtfertigen ist.

Die Folgen zum Beispiel im Schienenverkehr: Für den Schienentransport in der EU wurde in CETA lediglich eine sehr eingeschränkte Ausnahme festgelegt. Deshalb wird trotz dieser Ausnahme dieser Sektor relativ weit für kanadische Unternehmen geöffnet.

Ein Umdenken in der EU ist jedoch in Zukunft nicht auszuschließen. Will dann ein Staat wegen Problemen mit privaten Dienstleistungsanbietern im Schienenverkehr ruinösen Wettbewerb einschränken (z. B. im Sinne der Sicherheit), könnte er somit eine böse Überraschung erleben. Grund: Durch die Stillstandsklausel würde dies einen Verstoß gegen das Freihandelsabkommen darstellen.

RATCHET-KLAUSEL (SPERRKLINKENEFFEKT)

Während der Stillstand-Mechanismus den Status quo einer Regulierung fixiert, hat der Ratchet-Mechanismus zur Folge, dass auch künftige Marktöffnungen und Privatisierungen einzelner Länder automatisch ein neues Liberalisierungsniveau festschreiben, hinter das nicht mehr zurückgegangen werden kann. Die Marschroute ist vorgegeben: Flächendeckende Liberalisierung soll dauerhaft verankert werden.

SONDERKLAGERECHTE FÜR KONZERNE GEFÄHRDEN DIE DASEINSVORSORGE

 

Bei der Durchsetzung dieses Liberalisierungskurses spielt ein anderer Bestandteil von CETA eine wichtige Rolle: der Investitionsschutz. Dieser Schutz ermöglicht es multinationalen Konzernen, Staaten vor speziellen Tribunalen auf Schadenersatz zu verklagen, wenn diese beispielsweise Gesetze zur Regulierung von Preisen und Qualität erlassen, diese aber aus der Sicht der Konzerne nicht legitim sind oder ihre Profite schmälern (siehe Kasten „DIE NEUEN LIBERALISIERUNGSTECHNIKEN“).

 

Die Daseinsvorsorge ist nicht von den Investitionsschutzbestimmungen ausgenommen. So gibt CETA InvestorInnen ein Mittel in die Hand, Staaten weiter unter Druck zu setzen. Oft reicht bereits die Drohung, diese Sonderklagemöglichkeiten zu nutzen, um die Bereitschaft von Regierungen, Maßnahmen von öffentlichem Interesse zu tätigen, schwinden zu lassen. Im Kontext des Freihandelspaktes zwischen den USA, Kanada und Mexiko berichten z. B. kanadische Institute, aber auch Regierungsbeamte, dass Interventionsbriefe von amerikanischen Rechtsanwaltskanzleien bei neuen Gesetzesvorhaben schon fast zum Alltag gehören.

 

VERGABEWESEN – WEITERE EINSCHRÄNKUNGEN DROHEN

INHOUSE-VERGABE UND CO

Im Bereich der Dienstleistungen spielen auch Aufträge von öffentlichen Auftraggebern an Öffentliche, also z.B. eine Gesellschaft in Besitz des Auftragebers (Inhouse-Vergabe), oder andere öffentliche AnbieterInnen eine wichtige Rolle. Gliedert eine Gemeinde bestimmte Leistungen wie z. B. die Müllabfuhr an einen öffentlichen AnbieterInnen aus (z. B. an eine Gesellschaft der Gemeinde oder an die kommunale Müllabfuhr der Nachbargemeinde), so müssen die Vergabevorschriften der EU unter bestimmten Voraussetzungen nicht angewendet werden. So soll eine regionale Wertschöpfung unterstützt und der bürokratische Aufwand so gering wie möglich gehalten werden. Damit das weiterhin so bleibt, braucht es in CETA eine klare Ausnahme für Inhouse-Vergaben, sonst müssten zwangsläufig auch AnbieterInnen aus Kanada an den Ausschreibungen beteiligt werden. Solch ein Vorgehen wäre nicht verhältnismäßig und würde den Zielen der regionalen Wertschöpfung zuwiderlaufen. In CETA findet sich jedoch nur eine unklare und unbestimmte Ausnahme, wodurch die bisherigen Ausnahmenregeln für Städte und Gemeinden aus den Vergabevorschriften infrage gestellt werden.

VERGABE AN PRIVATE ANBIETERiNNEN

Bei der Vergabe an private AnbieterInnen spielt der Schwellenwert, ab dem Aufträge transatlantisch ausgeschrieben werden müssten, die entscheidende Rolle. Diese Schwellenwerte sind ein sensibler Bereich: Sie definieren, ab welchem Auftragswert auch kanadische AnbieterInnen für das BieterInnenverfahren zugelassen werden müssen. Um den Spielraum zur Förderung der regionalen Wirtschaft und Beschäftigung sicherzustellen, ist es wichtig, dass ausländische Unternehmen erst bei Aufträgen mit hohen Werten an dem öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen dürfen. Eine Anhebung dieser Schwellenwerte wäre längst nötig. Doch durch internationale Verpflichtungen und Freihandelsabkommen wie CETA ist das nicht mehr möglich.

Mit CETA will man sogar noch einen Schritt weiter gehen: Die EU hat sich bereit erklärt, über eine Senkung der Schwellenwerte (u. a. bei sozialen und anderen Dienstleistungseinrichtungen) zu verhandeln – aber erst dann, wenn das Abkommen in Kraft getreten ist. Eine sogenannte Review-Klausel macht das möglich.

Dazu kommt: Auch bei so umstrittenen Bereichen wie der Wasserversorgung kann durch solch eine Klausel „durch die Hintertür“ nachverhandelt werden. Denn die EU hat zugesagt, nach dem Inkrafttreten des Abkommens den sensiblen Bereich der Dienstleistungs-Konzessionen später noch aufzunehmen. Darunter fallen auch Verträge über die Wasserver- und Abwasserentsorgung. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Parlamente könnte damit einer Liberalisierung der Wasserversorgung der Weg bereitet werden.

 

SOZIALE KRITERIEN FÜR FAIRE VERGABE NICHT GESICHERT

Bei öffentlichen Auftragsvergaben gilt grundsätzlich die EU-Vergaberichtlinie. Sie erwähnt explizit die Möglichkeit von Sozial- und Umweltstandards als verbindliche Vergabekriterien. CETA darf diese Richtlinie nicht aushebeln! Es ist bisher umstritten, ob soziale Kriterien, die eine faire Vergabe sicherstellen und vor allem soziales Dumping verhindern sollen, mit CETA überhaupt möglich sind. Dies ist problematisch, denn wenn bei Ausschreibungen der Preis entscheidet, erfolgt der Kampf um die Aufträge nicht selten auf dem Rücken der Beschäftigten.

 

BEISPIELE FÜR MÖGLICHE RISIKEN

GEBÜHREN

United Utilities vs. Estland – Investoren klagen gegen abgelehnte Preiserhöhungen in der Wasserversorgung: Im Oktober 2014 klagte das (teil-)privatisierte Wasserunternehmen AS Tallinna Vesi zusammen mit dem britischen Anteilseigner United Utilities B.V. gegen Estland. Der Kläger wirft Estland die Verletzung des Standards der „gerechten und billigen Behandlung“ sowie Rechtsverweigerung vor, da ein Antrag von AS Tallinna Vesi zur Erhöhung der Wassergebühren abgelehnt wurde. AS Tallinna Vesi verlangt Entschädigungen in Höhe von 90 Millionen Euro für mögliche Verluste bis 2020.

SOZIALER WOHNBAU

Hier gibt es keine eindeutige Ausnahme. Daher könnte insbesondere bei neuen Regelungen zur Mietpreisbegrenzung auf Schadenersatz geklagt werden.

SOZIALE DIENSTLEISTUNGEN/GESUNDHEIT

Die Ausnahmen bei sozialen Dienstleistungen und im Bereich der Gesundheit sind nicht lückenlos. Insbesondere sind diese Bereiche nicht von den Investitionsschutzbestimmungen ausgenommen. Im Gesundheits- und Pflegesektor (vor allem Rehakliniken) sind in Deutschland und auch in Österreich private AnbieterInnen – manche auch mit ausländischer Beteiligungen – tätig. Private AnbieterInnen könnten daher bei Verschärfungen der Leistungs- und Qualitätsanforderungen mithilfe von Investitionsschutzbestimmungen die öffentliche Hand auf Schadenersatz klagen, wenn die Anforderungen nicht als legitim angesehen werden.

 

CETA IST TTIP DURCH DIE HINTERTÜR – UNSERE FORDERUNGEN

Verstärkte Handelsbeziehungen sind zu befürworten, aber nicht auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es wurden wichtige Anliegen nicht berücksichtigt. So darf CETA nicht ratifiziert werden. Wir wollen fairen Handel!

KEINE SONDERKLAGERECHTE FÜR KONZERNE

Wir lehnen die Schaffung von Sonderklagerechten für InvestorInnen (ISDS/ICS) weiterhin ab. Die Korrekturen, die erst aufgrund des öffentlichen Drucks in das CETA-Abkommen aufgenommen wurden, reichen nicht aus, da nach wie vor die Sonderklagerechte für InvestorInnen Vorrang vor öffentlichen Interessen haben.

LEISTUNGEN DER DASEINSVORSORGE SIND EIN ALLGEMEINGUT UND HABEN NICHTS IN EINEM HANDELSABKOMMEN ZU SUCHEN

Wir verlangen eine unmissverständliche Herausnahme der Daseinsvorsorge wie Wasser, Energie, Verkehr, Sozialversicherung, Gesundheitswesen, kommunale Dienstleistungen, Bildung, soziale Dienstleistungen und Kultur aus allen Abkommensbestimmungen von CETA. Für alle anderen Dienstleistungen muss der Positivlistenansatz verfolgt werden.

EINKLAGBARE ILO-KERNARBEITSNORMEN

Kernarbeitsnormen und darüber hinausgehende Arbeitsstandards der ILO sind in Handelsabkommen verbindlich zu verankern. Verstöße sind mit Sanktionen zu belegen.

HOHE SOZIAL-, GESUNDHEITS- UND UMWELTSTANDARDS

Es ist zu befürchten, dass durch eine gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung wichtige Verbote oder Regelungen zum Schutz der Gesundheit, der ArbeitnehmerInnen oder der Lebensmittelsicherheit gelockert oder gar aufgehoben werden. Ausnahmen für sensible Bereiche sind nicht ersichtlich. Das für das europäische Modell maßgebliche Vorsorgeprinzip muss explizit verankert werden.

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Friday, June 24, 2016 7:00:00 PM
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