Die vergangene Woche war eine Anleitung dafür, wie man effizient Misstrauen zwischen Wählervolk und Politikern schürt.
Andreas Koller
Autorenkürzel: a.k.
Stellvertretender Chefredakteur, Leiter Wiener Redaktion, Ressortleiter Innenpolitik
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https://www.sn.at/politik/innenpolitik/leitartikel-wer-rettet-oesterreich-vor-diesen-rettern-126470767
Sie hätten gemeinsam vor die Kameras treten können, der Kanzler, der Finanzminister, die Energieministerin und der Wiener Bürgermeister. Sie hätten gemeinsam verkünden können, dass sie in konstruktiver Anstrengung die bedrohliche Schieflage der Wien Energie geradegerückt und die Versorgung der zwei Millionen Kundinnen und Kunden des größten Energielieferanten des Landes sichergestellt haben. Sie hätten dafür möglicherweise Applaus der Menschen erhalten.
Sie hätten, aber sie haben nicht. Kanzler und Finanzminister verkündeten die Rettung der Wien Energie in einer Soloveranstaltung, ließen dabei (anders als die grüne Energieministerin) manch böse Spitze gegen die rote Wiener Stadtregierung vom Stapel und stellten kühn die Vermutung in den Raum, dass es im Wiener Umfeld möglicherweise Milliardenspekulationen gegeben haben könnte. Die SPÖ revanchierte sich umgehend, indem sie der ÖVP die Inszenierung einer "Schmutzkampagne" sowie "Meuchelpropaganda" vorwarf und dem Bundeskanzler ausrichtete, "in der Politik nichts verloren zu haben".
Man rieb sich die Augen: Da hatten es Bund und Stadt Wien soeben mit vereinten Kräften geschafft, am grünen Tisch ein existenzbedrohendes Problem in Rekordzeit zu lösen. Doch statt den Menschen die gute Nachricht in entsprechender Weise zu überbringen, überschütteten einander die Verhandlungspartner mit Vorwürfen rufschädigendster Art. Wenn jemand nach einem Rezept dafür sucht, wie Misstrauen in Politik und Politiker am effizientesten geschürt werden kann: Hier ist es, und es ist absurd, dass es die Betroffenen - nämlich die Politiker - selbst sind, die mit ihrem Verhalten dieses Misstrauen schüren.
Dies übrigens nicht nur rund um die Rettung der Wien Energie, sondern auch bei jeder anderen sich bietenden Gelegenheit, und wer es nicht glaubt, der möge sich die im TV live übertragenen Nationalratsdebatten anhören. Keine Rede mehr davon, um der gemeinsamen Sache willen auf parteipolitische Winkelzüge zu verzichten, wie es beispielsweise in den ersten Wochen der Pandemie der Fall war. Die herbstliche Krise, vor der wir stehen, wird unserer Gesellschaft mindestens so viel abverlangen wie dieser erste bittere Lockdown. Anders als damals haben wir es heute mit einer politischen Klasse zu tun, deren Angehörige agieren, als hätten sie das Ausmaß der Krise nicht begriffen.
Wie das bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt, geht aus einschlägigen Umfragen hervor. Das Vertrauen in politische Institutionen ist an einem Tiefpunkt angelangt, die meisten Politiker befinden sich in den diversen Vertrauensrankings auf dem steten Weg in den Minusbereich. Das Misstrauen wuchert in vertikaler Richtung zwischen den Menschen und der Politik - und es wuchert in horizontaler Richtung zwischen den einzelnen politischen Parteien.
Während sich Grüne und Neos zumeist in wohltuender Sachlichkeit üben, haben vor allem die Propagandaabteilungen von ÖVP, SPÖ und FPÖ immer noch nicht verstanden, dass sie sich selbst beschmutzen, wenn sie den anderen mit Schmutz bewerfen. "Scheinheiligkeit" und "Armutszeugnis" fällt der türkisen Generalsekretärin Laura Sachslehner zur SPÖ ein. "Lügen und Falschinfos", zetert der rote Parteisekretär Christian Deutsch gegen die ÖVP. Eine "niederträchtige Täuschungsstrategie" ortet der blaue Parteichef Herbert Kickl bei SPÖ, ÖVP und Grünen. Fortsetzung folgt mit Sicherheit.
Kein Wunder, dass in diesem Klima einige der Mitte-rechts- bis Rechts-außen-Kandidaten für die Bundespräsidentschaft die Absicht bekundet haben, im Falle ihres Wahlsiegs als erste Amtshandlung die Bundesregierung zu entlassen. Das wäre zwar ein glatter Staatsstreich und würde Österreich auf den Status einer Bananenrepublik zurückwerfen, aber das scheint die Herren nicht anzufechten. Wir haben es weit gebracht, wenn Bewerber um die Bundespräsidentschaft zu Recht annehmen dürfen, mit derlei Ankündigungen Stimmen zu machen.
Apropos Präsidentschaft: Die mit großer Wahrscheinlichkeit bevorstehende Wiederwahl des amtierenden Bundespräsidenten wäre eine gute Gelegenheit für die politischen Akteure, den großen Reset-Knopf zu drücken. Und zumindest zu versuchen, sich in den kommenden nicht ganz einfachen Zeiten einer besseren politischen Kultur zu befleißigen.