Mythen aus dem Exportland Österreich


Mythen aus dem Exportland Österreich
 

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2. September 2019

Die Wirtschaftskammer, Ex-Wirtschafts­ministerin Schram­böck und sogar der Ex-Bundes­kanzler Kurz be­haup­ten es immer wieder: 6 von 10 Euro er­wirt­schafte Öster­reich im Ex­port. Oder: Die öster­reichische Ex­port­quote liege im Ver­gleich mit den an­deren EU-Staaten nur im Mittel­feld. Im Fol­gen­den werden Ar­gu­mente ge­liefert, weshalb diese Aus­sagen un­taug­lich sind und welche Alter­na­tive zur Ex­port­logik be­steht.

  1. Die Exportquote sagt nichts über die Wert­schöpfung aus

Die Exportquote entspricht dem Verhältnis zwischen Ex­por­ten und in­län­discher Pro­duk­tion (Brutto­inlands­pro­dukt, BIP), das heißt, sie zeigt die Ex­porte in Pro­zent des BIP. Sie sagt jedoch nichts über den An­teil der in­län­dischen Wert­schöpfung aus, der ex­por­tiert wird.

Das Problem dabei lässt sich am ein­fachsten im Ver­gleich von einem Pro­duk­tions- und einem Handels­unter­nehmen illust­rieren: Ein Pro­duktions­unter­nehmen zeich­net sich im Wesent­lichen da­durch aus, dass es Roh­material ein­kauft, etwa Holz im Fall einer Möbel­fabrik, und dar­aus unter Ein­satz von Arbeit und Ma­schi­nen Möbel baut. Diese Möbel werden dann weiter­ver­kauft. Der Gesamt­wert aller Ver­käufe dieses Unter­nehmens ist der Um­satz. Dieser unter­teilt sich in den Wert, der be­reits in den Roh­stoffen, die das Unter­nehmen ein­ge­kauft hat, steckt, und in den Wert, der durch die Pro­duk­tion dazu­ge­kommen ist, also die Wert­schöpfung des Unter­nehmens.

Gleiches gilt auch für ein Handels­unter­nehmen. Es kauft Waren ein, trans­por­tiert sie, la­gert sie ein und ver­kauft sie letzt­lich wieder an Kun­den, wobei es na­tür­lich für die ge­leis­teten Dienste eben­falls einen Auf­schlag auf den Ein­kaufs­preis ver­langt. Auch hier be­steht die Wert­schöpfung in jenem Teil der Um­satz­er­löse, die sich aus der un­mittel­baren Tätig­keit des Unter­nehmens er­geben und nicht schon im Ein­kauf vor­handen waren.

Der Unterschied zwischen Handels- und Pro­duktions­unter­nehmen be­steht da­rin, dass der An­teil der eigenen Wert­schöpfung an den Umsatz­er­lösen bei Handels­unter­nehmen üblicher­weise viel kleiner ist als bei Pro­duk­tions­unter­nehmen.

Wesentlich ist, dass Exporte in diesem Ver­gleich den Um­sätzen ent­sprechen und nicht der Wert­schöpfung, während das BIP ein Maß der Wert­schöpfung in einem Land dar­stellt.

Exporte bestehen zu einem großen Teil eben­falls aus Im­porten, die ein­fach wieder ins Aus­land weiter­ver­kauft wer­den. So be­stehen Exporte aus Luxem­burg zu 60 Pro­zent aus Gütern, die zu­vor im­por­tiert wur­den, irische oder slo­wa­kische Pro­dukte be­stehen zu 48 Pro­zent aus Im­porten.

Hohe Exportquoten treten typischer­weise in kleinen Län­dern auf, die bei­spiels­weise Teile der Pro­duk­tion von großen Kon­zer­nen, etwa in der Auto­pro­duk­tion, über­nehmen. Zu­nächst wer­den dafür viele Inputs (Auto­teile) im­por­tiert und zu fertigen Fahr­zeugen zu­sammen­ge­baut, die schließ­lich ex­por­tiert wer­den.

Hohe Exportquoten ergeben sich typischer­weise in Ländern, die Lizenz­zahlungen für Marken­rechte, Medi­kamente, Soft­ware oder Ähnliches ab­wickeln, wie etwa in Ir­land. Aber auch Pro­duk­tionen in Län­dern, die als so­genannte ver­längerte Werk­bank dienen, führen zu hohen Aus­fuhr­quoten.

Von verlängerten Werk­bänken spricht man immer dann, wenn im Zuge einer inter­natio­na­li­sierten Pro­duk­tion ein­zelne ein­fache Pro­duk­tions­schritte – etwa weil sie eher arbeits­in­ten­siv sind – in Billig­lohn­länder aus­ge­lagert werden. Diese Län­der be­kom­men dann ledig­lich Einzel­teile ge­liefert, bauen sie zu­sammen und schicken sie wieder­um zur nächs­ten Nieder­lassung. Damit er­folgt nur ein re­la­tiv kleiner Wert­schöpfungs­schritt im In­land. Der Groß­teil des Ex­port­wertes war wegen der höher­wertigen Pro­duktions­schritte, wie Pla­nung und Ent­wicklung, be­reits in den im­por­tierten Tei­len ent­halten. Um­ge­kehrt ver­zeichnet ein Land mit ei­ge­ner In­dus­trie ver­gleichs­weise ge­rin­gere Aus­fuhr­quoten.

  1. Es gibt keinen Grund, weshalb Exporte dem Konsum im In­land vor­zu­ziehen wären

Das Exportieren von burgen­ländischen Tomaten nach Ungarn bei gleich­zeitigem Import von Tomaten aus Holland würde die öster­reichische Export­quote er­höhen. Um­ge­kehrt würde das Ver­kaufen von burgen­län­dischen Tomaten in Nieder­öster­reich und der Ver­zicht auf Tomaten­importe aus Holland die Aus­fuhr­quote sen­ken. Eine hohe Ex­port­quote ist in diesem Fall kein Zei­chen für Wohl­stand, son­dern für sinn­loses Hin-und-her-Trans­por­tieren von Gü­tern von einem Land ins andere.

  1. Die Exportquote steigt auch an, wenn ein­fach über die Grenze im Kreis ge­handelt wird

Dieser Effekt wurde 2016 unter dem Namen Zalando-Effekt in der Schweiz be­kannt: Völlig über­raschend wies die Außen­handels­sta­tis­tik einen plötz­lichen 6,6-pro­zentigen An­stieg der Tex­til- und Schuh­ex­porte aus der Schweiz aus. Der jähe Ex­port­an­stieg spie­gelte je­doch nicht die ex­plo­dierende Be­liebt­heit von Schwei­zer Fashion-Pro­dukten wider, son­dern be­stand aus Retour­sen­dungen von Online-Ver­sand­kunden. Da die Zu­sen­dungen als Im­porte ver­bucht worden waren, mussten die Rück­sendungen korrekter­weise als Ex­porte ver­bucht werden, ob­wohl es sich um diesel­ben Waren handel­te. Über die in der Schweiz her­ge­stellten und aus­ge­führten Fashion-Pro­dukte sagt das gar nichts aus.

  1. Wenn jeder zweite Job durch Exporte entstünde, würde auch jeder zweite Job durch Im­porte ver­nichtet wer­den

Die Aussage, dass jeder zweite Job durch Ex­porte ent­steht, ist Un­sinn. Die Gesamt­ex­porte Öster­reichs sind mit 182 Mrd. Euro un­ge­fähr halb so hoch wie das öster­reichische BIP mit 353 Mrd. Euro. Das sagt aller­dings nichts über die ent­stehenden Jobs aus. Wer also be­hauptet, dass jeder zweite Ex­port-Euro einen öster­reichischen Job schafft, muss kon­sequenter­weise auch die andere Seite der Me­daille ent­hüllen. Denn auch die Im­porte sind mit 172 Mrd. Euro fast halb so hoch wie das BIP, wo­durch fast jeder zweite Job durch Im­porte ver­loren ginge.

  1. Konsumnachfrage ist eineinhalbmal so inlands­wirksam wie Exporte

Jede Nachfrage nach Gütern und Dienst­leistungen in Öster­reich be­dingt auch zu einem ge­wis­sen Teil eine Nach­frage nach Im­por­ten. So be­wirkt etwa die Nach­frage nach neuen Ge­bäu­den auch eine ge­wisse Nach­frage nach im­por­tier­ten Vor­pro­duk­ten, etwa in Form von Ener­gie oder Bau­material. Diese Im­porte werden im Aus­land her­ge­stellt und gene­rieren damit weder Be­schäf­tigung noch Ein­kommen im In­land.

Der Importgehalt und der inländische Wert­schöpfungs­an­teil der ver­schiedenen Nach­frage­kate­gorien kön­nen aus den Input-Output-Ta­bel­len er­mittelt wer­den. Die Ta­belle des WIFO zeigt, dass eine zu­sätz­liche Milli­arde Euro an Ex­por­ten die in­län­dischen Ein­kommen um nur 530 Mio. Euro (+ 53 Prozent) und die Im­porte um 470 Mio. Euro (+ 47 Prozent) steigen lässt.

Importgehalt der Nachfrage gemäß Input-Output-Tabellen

Ausgabenkategorien

Anteil ausländischer Vorleistungen

Anteil inländischer Wert­schöpfung

Bauinvestitionen

22%

78%

Privater Konsum

25%

75%

öffentliche Sach­aus­gaben
(= öffentliche Vor­leistungen +
soziale Sach­leistungen)

38%

62%

Exporte 

47%

53%

Ausrüstungs­investitionen

54%

46%

Quelle: WIFO, Vortrag von Josef Baum­gartner am 28. März 2017

Im Vergleich dazu führt ein Anstieg des privaten Konsums um 1 Mrd. Euro zu einem An­stieg der in­ländischen Ein­kommen um 750 Mio. Euro (und be­wirkt ledig­lich eine Zu­nahme der Im­por­te um + 250 Mio. Euro).

Schlussfolgerungen

Aus ökonomischer Sicht ist es irrelevant, ob Waren im In- oder Aus­land ver­kauft werden. Eine hohe Export­quote sagt jeden­falls nichts über die damit ver­bundene Wert­schöpfung in Öster­reich aus. An­stelle der ein­seitigen Ex­port­orientierung ist eine ak­tive Steuerung der Gesamt­nach­frage sinn­voll, weil sie schlicht mehr Wohl­stand bzw. Ein­kommen im In­land be­wirkt. Für eine gut funk­tio­nierende Wirt­schaft ist nämlich die gesamt­wirt­schaft­liche Nach­frage wesent­lich ent­scheiden­der als der Ex­port. Kom­plexe volks­wirt­schaft­liche Zu­sammen­hänge ab­sicht­lich falsch zu kom­mu­ni­zieren liegt offen­bar ganz im Trend Trump­scher Welt­wirt­schafts­theorie.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0

Dieser Textbeitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namens­nennung - Weiter­gabe unter gleichen Be­dingungen 4.0 Inter­natio­nal zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz ein­zusehen, kon­sul­tieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ Weitere In­for­mationen auch hier: https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung/

  • Sepp Zuckerstätter

Mitarbeiter der Abteilung Wirtschafts­wissenschaft und Statistik der AK Wien, mit Schwer­punkten in der Lohn­politik, Ein­kommens­ver­teilung und Finanz­markt­re­gu­lierung.

Thursday, September 26, 2019 6:37:00 PM
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