Krisenbewältigung einst und jetzt
von Franz Nauschnigg
Die Krisenbewältigung in den 1980er Jahren, mit Tschernobyl und dem Weinskandal sind der jetzigen Corona-Krise insofern ähnlich, als es in beiden Fällen um eine Abwägung zwischen Gesundheitsmaßnahmen und ihren negativen wirtschaftlichen Auswirkungen ging.
Die wirtschaftlichen Einbrüche in der jetzigen Corona-Krise werden Dimensionen erreichen wie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und damit die der großen weltweiten Rezession nach 2008 übertreffen. Sie sind damit wesentlich schwerer als die Krise in den 1980er Jahren.
In Österreich hat die Gesundheitspolitik in der Corona-Krise im internationalen Vergleich relativ rasch reagiert, die Wirtschaftspolitik hingegen relativ spät.
Das in Österreich von der Regierung angekündigte Fiskalpaket beträgt 38 Mrd. Euro. Schweden, welches die Wirtschaft wesentlich weniger belastende Corona-Maßnahmen setzte und daher voraussichtlich auch geringere wirtschaftliche Einbrüche erleben wird, hat schon wesentlich früher ein Fiskalpaket von 58 Mrd. Euro beschlossen. Ähnliches gilt für Deutschland – weniger belastende Corona-Maßnahmen, größeres, besseres Fiskalpaket, mit allein 100 Mrd. Euro für Unternehmensbeteiligungen.
Als wir in den 1980er-Jahren die Krisen Tschernobyl und Weinskandal bewältigten (ich war damals in Kabinetten im Wirtschafts-, später Landwirtschaftsministerium und in den Krisenstäben) haben wir parallel zu administrativen gesundheitlichen Maßnahmen immer auch schon Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen diskutiert und beschlossen. Dies oft in intensiven Diskussionen mit den Kollegen im Gesundheitsministerium, die natürlich die wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Maßnahmen nicht so beurteilen konnten. Ich erinnere mich hier an Diskussionen mit der jetzigen VfGH-Richterin Claudia Kahr, die damals im Kabinett im Gesundheitsministerium, wie auch wir, fast Tag und Nacht arbeitete. Wir konnten uns aber immer auf Maßnahmen einigen, welche die Gesundheitsziele erreichten, aber den wirtschaftlichen Schaden möglichst gering hielten. Sehr wichtig bei dieser Abwehr von wirtschaftlichen Schäden war eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer (WKO), insbesondere mit Hannes Farnleitner, der äußerst konstruktiv mitwirkte und wesentlich dazu beitrug, den wirtschaftlichen Schaden möglichst gering zu halten und so ihren Unternehmen zu helfen.
Die Bundeskanzler – Sinowatz, später Vranitzky –, hielten sich strikt an die österreichische Verfassung (Ministerverantwortlichkeit, kein Weisungsrecht des Kanzlers), sorgten jedoch dafür, dass die Ministerien koordiniert vorgingen: Gesundheits- und Innenministerium, für Normen und Überwachung im Gesundheitsbereich, damals Landwirtschafts-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialministerium zu Maßnahmen gegen die wirtschaftlichen Folgen. Es gab durch die Kanzler keine Ankündigungspolitik, keine Eingriffe in Ministerverantwortlichkeiten, keine Message Control. Es war ihnen nicht wichtig, dass sie medial glänzten, sondern dass die Krise gemeinsam gut bewältigt wurde. Sie sorgten auch dafür, dass die Maßnahmen umgesetzt wurden, wobei immer auch auf sparsamen Mitteleinsatz geachtet wurde. Dadurch konnten diese Krisen gut bewältigt und die Folgen für Gesundheit und Volkswirtschaft minimiert werden. Aktionen wie die Ankündigung des Kanzlers, massive Gesundheitstests durchführen zu wollen – testen, testen, testen – dem eigentlich zuständigen Gesundheitsministerium und den Ländern, die es umsetzen sollen, die notwendigen Ressourcen aber nicht zu Verfügung zu stellen, waren undenkbar.
Formularende
Jetzt rächt sich auch, dass unter Türkis-Blau die von der SPÖ/ÖVP-Vorgängerregierung geerbte gute Konjunktur nicht zur Budgetkonsolidierung genutzt, sondern im Gegenteil das strukturelle Defizit sogar erhöht wurde. Dies im Gegensatz zu Deutschland, wo Finanzminister Scholz bereits jetzt ein Konjunkturpaket (timely, targeted, temporary) für die Zeit nach der Corona-Krise angekündigt hat, mit der Begründung: „Wir haben vorher gespart und jetzt genug Mittel dafür.“
Die konkreten Maßnahmen der türkis-grünen Regierung sind aus folgenden Gründen problematisch:
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Die Administration der Rettungsgelder sollte nicht der Interessenvertretung der Unternehmen, Wirtschaftskammer (WKO) übertragen werden, da diese vor allem die Interessen ihrer Mitglieder nach möglichst hohen Zahlungen vertreten muss, was die Steuerzahler sehr teuer kommen wird. Der ÖGB verteilt auch nicht die Arbeitslosengelder an seine Mitglieder, sondern das erfolgt durch das staatliche AMS. Die Daten der Betriebe aus den Steuern und Abgaben hat das Finanzministerium, nicht die WKO.
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Das öffentliche Gesundheitssystem in Österreich war angeblich am Rande seiner Kapazitäten. Warum nicht umfassend auch die privaten Spitäler und Ärzte (Wahlärzte) zur Corona-Krisenbekämpfung eingesetzt wurden, ist unverständlich. Dies umso mehr, als durch die unter den schwarz/türkis/blauen Regierungen vorgenommenen Gesundheitsreformen dem öffentlichen Gesundheitssystem über 600 Mio. Euro zugunsten der Arbeitgeber und 200 Mio. zugunsten der gewinnorientierten Privatspitäler entzogen wurden. Diese Mittel fehlen jetzt im öffentlichen Gesundheitssystem.
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Kein sparsamer Einsatz der Budgetmittel. Es darf nicht sein, dass Rettungsgelder überwiegend in jene Unternehmen fließen, die sich durch eigene Schuld selbst geschwächt haben. Wenn es hohe Gewinnentnahmen, Dividenden, in den letzten drei Jahren mehr als 50 Prozent des Gewinns bzw. Aktienrückkäufe, Managergehälter über 500.000 Euro im Jahr gab, sind staatliche Rettungsgelder entsprechend zu kürzen. Dies ist ein Ergebnis des Shareholder-Value-Prinzips, durch das sich Manager durch Manipulation der Aktienkurse durch hohe Dividenden und Aktienrückkäufe hohe Bonuszahlungen sichern konnten.
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Auch dass die Regierung beim Kurzarbeitsgeld nicht schärfer gegen Missbrauch durch Unternehmen vorgeht. AK und ÖGB wiesen darauf hin, dass einzelne schwarze Schafe von Unternehmen das Kurzarbeitsgeld kassieren, die Mitarbeiter aber länger arbeiten lassen und so versuchen aus der Krise Gewinn zu schlagen. Sie sollten als Strafe mindestens das Doppelte der zu Unrecht bezogenen Mittel zurückzahlen müssen. Um einen Anreiz zu geben, sollte der Betriebsrat, der so etwas meldet, 10 Prozent der Strafe für die Betriebsratskasse bekommen, dort wo es keinen Betriebsrat gibt, jene Mitarbeiter, die diesen Betrug melden.
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Verstaatlichung der Verluste, Privatisierung der Gewinne. Es darf nicht so laufen wie bei der Bankenrettung vor zehn Jahren, dass die Verluste verstaatlicht und die Gewinne privatisiert werden und die Manager bald wieder Millionengagen erhalten. Leider agiert die von der türkis-grünen Regierung geschaffene COVID-19-Finanzierungsagentur (Cofag), die bis zu 15 Mrd. Euro über Kreditgarantien und Zuschüsse an Betriebe verteilen soll, in diese Richtung. Die Cofag wird von zwei ehemaligen politischen Sekretären geleitet, ist nicht sehr transparent und strukturell auf die Verstaatlichung der Verluste und Privatisierung der Gewinne ausgelegt. Dies da der Staat die Verluste aus den Kreditgarantien und Zuschüssen an die Betriebe tragen wird, jedoch mangels Eigenkapitalinstrument an den Gewinnen nicht partizipiert. Die Stadt Wien ist hier cleverer und hat ein Beteiligungsinstrument geschaffen. Auch Deutschland stellt 100 Milliarden Euro (mit der Option auf Ausweitung) für staatliche Beteiligungen bereit. Auch die EU-Kommission tritt nun, laut der sozialistischer Tendenzen unverdächtigen Financial Times („Vestager urges stakebuilding to block Chinese takeovers“), für staatliche Beteiligungen ein.
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Sparsame Unternehmensrettung ist möglich. In Österreich hatten wir hier ein sehr gutes Modell, um strategisch wichtige Unternehmen zu retten. Die Gesellschaft des Bundes für Industriebeteiligungen (GBI), auch Pleiteholding genannt, übernahm strategisch wichtige Pleitefirmen und sanierte sie. Ich war in den 1990er Jahren im Aufsichtsrat der GBI, und wir konnten alle übernommenen Pleitefirmen sanieren und damit ohne Kosten für den Staat tausende Arbeitsplätze retten. Unter Schwarz-Blau wurde nach 2000 dann die GBI aufgelöst. Die Firmen wurden leider billig an gut vernetzte Unternehmer verkauft, die sie teilweise mit hohem Gewinn an Chinesen weiterverkauften.
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Statt Milizsoldaten, Zivildiener wieder einzuberufen, sollte man die von Türkis-Blau abgeschaffte Aktion 20.000 mit der Arbeitslosen ein Arbeitsplatz im öffentlichen Sektor geschaffen wurde, wieder installieren. Aber auf zumindest 50.000 aufstocken. Es gilt Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Zusammenfassend war in Österreich in der Corona-Krise die Gesundheitspolitik eher top – die Wirtschaftspolitik eher flop.
Dies da die wirtschaftlichen Auswirkungen der gesundheitspolitischen Maßnahmen wahrscheinlich zu wenig diskutiert wurden, ob nicht mit weniger wirtschaftsschädlichen Maßnahmen die Gesundheitsziele auch erreicht hätten werden können. Es wurden auch nicht gleichzeitig Abfederungsmaßnahmen ergriffen. Aus der Wirtschaft kommen zunehmend kritische Stimmen: Einer der erfolgreichsten Unternehmer Österreichs, Dietrich Mateschitz, kritisiert die Regierung: „Das kommt mir so vor, als ob mir jemand ins Knie schießt und mir dann einen Kredit für die Operationskosten anbietet.“ Ein Kleinunternehmer mit zwei Beschäftigten schrieb mir:
„Liquidität 0, Eigenmittel aufgebraucht, obwohl voll eingezahlt (GmbH). Hilfe bis jetzt 0, Kurzarbeitsantrag noch immer in Arbeit (dh mit 0 müssen wir das Gehalt auszahlen, wir Eigentümer haben uns ohnehin nie etwas bezahlt, obwohl wir selbst im Laden stehen), daher auch keine Vorfinanzierung durch Bank etc. Aber dafür alle 2 Tage eine Selbstbeweihräucherungs-PK des heiligen Sebastian.“
Dies ist vermutlich auf die Unterschiede der wesentlichen wirtschaftspolitischen Akteure zurückzuführen: Heute Kanzler Kurz, Finanzminister Blümel, die beide weder in ihrer Ausbildung noch in ihrer politischen Laufbahn, wirklich als Wirtschaftspolitiker oder Praktiker in Erscheinung getreten sind. Damals in 1980er Jahren unter Kanzler Sinowatz und dem Finanzminister und späteren Kanzler Vranitzky, ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann, später Finanzminister Lacina und Staatssekretär und Landwirtschaftsminister Schmidt, beides ausgewiesene Wirtschaftsfachleute.
Die Krise als Chance nutzen
Als wir unter Minister Schmidt den Weinskandal nutzten, um den Umbau der österreichischen Weinwirtschaft von Massen- zu Qualitätsproduktion (Änderung der Ausbildung, Produktion, Marketing, Besteuerung mit Banderole, Kontrollen) voranzutreiben, gab es auch viele Widerstände, aber wir überwanden diese. Heute sind alle stolz auf den guten österreichischen Wein. Ohne Weinskandal wäre es uns vielleicht nicht gelungen, die Widerstände zu überwinden.
Heute sollten wir die Krise als Chance nutzen, um einen Umbau des Energiesystems zum Klimaschutz voranzutreiben.
Die Corona-Krise hat kurzfristig den CO2-Ausstoß durch den wirtschaftlichen Einbruch gesenkt. Mittel- und langfristig aber die Klimakrise verschärft, da fossile Brennstoffe insbesondere Öl dramatisch billiger wurden. Die CO2-Preise im EU-Handelssystem fielen von 25 auf 18 Euro/Tonne, wodurch schmutzige Kohlekraftwerke wieder rentabler werden. Nach 2008 sank der CO2-Preis im EU-Handelssystem auf unter 5 Euro/Tonne. Das müssen wir vermeiden und gegensteuern.
Österreich, welches im EU-Vergleich sehr niedrige Treibstoffsteuern hat, sollte das Dieselprivileg (8,5 Cent niedrigere Steuer) abschaffen. Weiters einen Zuschlag von 15 Cent auf alle fossilen Treibstoffe und Heizöl einführen. Dieser sollte, wenn der Ölpreis wieder über 60 Euro/Barrel steigt, um 5 Cent und ab 70 Euro/Barrel um weitere 5 Cent reduziert werden.
Diese Mittel sollten für den Ökostrom-Ausbau und die Förderung der Umstellung der Heizsysteme genutzt und dafür die Ökostrom-Abgabe abgeschafft werden. Die Ökostrom-Abgabe erhöht den Strompreis und macht Strom damit gegenüber fossilen Brennstoffen weniger wettbewerbsfähig – der LKW profitiert, die Bahn wird belastet. Die Ökostrom-Abgabe erhöht auch die Ungleichheit, da Ärmere durch sie stärker belastet werden und den CO2-Ausstoß, da mehr LKW, weniger Bahntransporte. Dies alles sollte sehr rasch, schon vor einer umfassenden ökologischen Steuerreform erfolgen.
Kurzfristig sollte durch ein Konjunkturpaket ein rasches Wiederankurbeln der Wirtschaft erfolgen. Ein Schwerpunkt sollte die arbeitsintensive thermische Sanierung sein, bei der Österreich sich in den letzten Jahren verschlechtert hat.
Zusätzlich sollten Industrie- und Handelspolitik dafür sorgen das bei strategisch wichtigen Gütern Europa eine ausreichende Selbstversorgung (minimum viable production) erzielt. Dass zum Beispiel die Pharmakonzerne, um ihre Gewinne zu erhöhen, die Arzneimittelproduktion nach Asien verlagert haben, sollte korrigiert werden.
Franz Nauschnigg war von 1987 bis 2019 in der Oesterreichischen Nationalbank, seit 1999 Abteilungsleiter der Internationalen Abteilung. Er war wirtschaftspolitischer Berater der Finanzminister Staribacher, Klima und Edlinger. Er war in den 1990er Jahren im Aufsichtsrat der GBI und der Wiener Börse, in den 1980er Jahren im Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium, auch in den Kabinetten. Er ist Mitglied der Taskforce on Carbon Pricing in Europe.